Mt. Rinjani

 

Im Sommer 2005 war es endlich soweit. Zwei Monate Fahrradtour in Indonesien. Wir haben uns natürlich anfangs auch gefragt, ob das überhaupt möglich sei, können aber mittlerweile die Existenz von mindestens einer befahrbaren Straße pro Insel bestätigen. Einer der Höhepunkte unserer Tour war ohne Zweifel eine dreitätige Wandertour auf der Insel Lombok, unmittelbar östlich von Bali. In ihrer Mitte erhebt sich der Vulkan Mount (oder: Gunung) Rinjani (3726m), ein heiliger Berg für die einheimischen Sasak, Hindus und Muslime.

Diese Bergtour schon fest ins Auge gefasst, suchten wir nur noch einen Guide. Zufällig sprach uns abends, als wir in einem „abgedunkelten“ (Stromausfall) Warung Makaan im Hafenstädtchen Labuhan Lombok mal wieder Mie Goreng in uns hineinstopften, ein junger Mann an und offerierte uns eine 3-tätige Tour mit Guide, Träger und Verpflegung für 50 $ pro Person. Wir sagten zu, zahlten an und zwei Tage später sollte die Tour von Sembalun über den Krater mit Besteigung des Gipfels, weiter zu den heißen Quellen und runter bis ins Bergdorf Senaru losgehen. Wir mussten also mit den Rädern nach Sembalun. Lombok ist nicht groß und der „Vermittler“ meinte, in zwei Stunden wären wir da. Er hat aber wohl in Motorrollerstunden gerechnet und uns heimtückischerweise verschwiegen, dass auf dem Weg ein Pass von ca. 1600 m liegt. Sembalun liegt in einer Talsohle direkt an der Ostflanke des Rinjani. Die Menschen hier leben vor allem vom Gemüseanbau und einige Männer bieten ihre Dienste als Porter oder Guides an. Sie sind die einzigen, die hier ein wenig Englisch sprechen. Es gibt eine handvoll Losmen, in denen man sein überflüssiges Gepäck lassen kann.

Wir haben abends noch unser Equipment in die Rucksäcke verstaut; Zelt, Schlafsack, Isomatte, … hatten wir alles dabei. Andy, unser Träger, hatte dann „nur“ noch die Verpflegung zu transportieren, aber als wir sahen, dass das schon etwa 20 Kilo waren, die er vorn und hinten an einen Bambusstab gebunden auf der Schulter balancierte, waren wir froh unsere Ausrüstung selbst geschultert zu haben. Früh um 04.00 Uhr sind wir also losgestiefelt und schnell fielen uns erste Unterschiede zwischen Europäern und Indonesiern bezüglich des Bergwanderns auf. Während manch ein Tourist vielleicht überlegt, ob hier nicht Steigeisen angebracht wären, scheinen die Einheimischen gar nicht daran zu denken, ihre Flipflops gegen festeres Schuhwerk zu tauschen. Energieriegel oder Instantgerichte, um Gewicht zu sparen? Auf dem Programm standen Ananas, Bananen, Nasi Goreng, Gemüse, Pfannkuchen, Toast, eine ganze Stiege rohe Eier … eine andere Gruppe hatte sogar ein lebendiges Huhn, an den Beinen an die Bambusstange gebunden, dabei - auf 3000m Höhe in Töpfen und Pfannen zubereitet kommt einem das schon etwas seltsam vor, obwohl es natürlich super geschmeckt hat.

Am ersten Tag sind wir erst durch mannshohes Gras, später durch spärlichen Wald bis ins Lager II auf dem Kraterrand in ca. 3000m Höhe gestiegen, der als solches fast nicht zu erkennen war. Schon der Kratersee Seggara Anak knapp tausend Meter unter uns, in dessen Mitte ein neuer Vulkan heranwächst, hat eine Länge von 6 km. Von da oben hatten wir, nachdem kurz vor Sonnenuntergang die Wolken in tiefere Lagen hinab gestiegen waren und den Blick auf die Berge, den glühend roten Himmel und das Meer freigaben, eine fantastische Aussicht. Da die Temperaturen auch dort nachts bis nahe an den Gefrierpunkt sinken können, haben wir uns schnell im Zelt verkrochen.

Am nächsten Morgen waren wir schon um 03.30 Uhr wieder auf den Beinen, denn wir wollten den Gipfel bis zum Sonnenaufgang erreicht haben. Mit Taschenlampen bewaffnet ging es zunehmend steiler am Kraterrand entlang. Nur gut, dass es dunkel war – auf wenig bergerfahrene Strampelwaden können mehrere hundert Meter hohe Kraterwände, die direkt rechts des Pfades fast senkrecht abfallen, bei Tageslicht schon druckend wirken. Andererseits sieht man den Gipfel im Dunkel als Umriss einer kleinen Kuppe und glaubt bald oben zu sein. Wenn man seinem Ziel aber nach einer Stunde kaum näher gekommen zu sein scheint, stellt man fest, dass wohl doch noch so 500 Höhenmeter fehlen. Und das letzte Stück hatte es wirklich sich. Die kleinen Lawabröckchen rutschen auf dem steilen Hang einfach unter den Schuhen weg – zwei Schritte vor, einen zurück. Aber endlich oben angekommen, war die Aussicht phänomenal. Man konnte in der aufgehenden Sonne zwei-, dreihundert Kilometer weit entfernte Gipfel erkennen, die ganze Insel lag unter uns ausgebreitet und der Vulkan warf seinen Schatten in den Dunst, der sich als dunkles Dreieck nach links (südliche Hemisphäre) bewegte. Es waren auch noch eine handvoll anderer Touristen oben angekommen, aber unser Guide Kihan war der einzige, der die morgendlichen Strapazen auf sich genommen hatte. Die anderen Bergführer sind aufgrund der Nachwirkungen ihres übermäßigen Arak-Schnaps-Konsumes am Vorabend auf der Strecke geblieben. Zugegebenermaßen sah auch Kihan recht mitgenommen aus.

Der Abstieg war dann eine Entschädigung für die Mühen des Aufstieges. Wir sind auf dem losen Untergrund eher gerutscht als gestiegen. Etwa zur Mittagszeit kamen wir an den heißen Quellen an. Hier entspringt etwas unterhalb des Kratersees kochend heißes schwefelhaltiges Wasser aus dem heißen Gestein. In die ersten Becken wagen sich nur die Hartgesottenen. Wir sind dann ein Stück stromabwärts in ein „kühleres“ Becken mit von gelben Schwefelablagerungen überzogenen Steinen und schleimigem gelb-grünen Wasser gestiegen. Überall stiegen Blasen auf und in einem Wasserfall konnte man sich den Rücken massieren lassen. Alleine diese heißen Quellen, die von ihrem eigenen Dunst verhüllt waren, wären die Strapazen wert gewesen. Ihnen wird auch eine heilende Wirkung nachgesagt, weshalb jedes Jahr, vor allem zu Vollmond, auch viele Einheimische auf den Weg dorthin machen. Auch Kihan ging es nach dem Bad besser. Vielleicht hatte der Kater nachgelassen.

So gestärkt konnten wir uns auf den zwingendermaßen über den Kraterrand führenden Weg aus dem Kessel heraus machen. Aber oben angekommen spürten wir dann doch deutlich unsere Beine, Strampelwade hin oder her, und es war an der Zeit, das Zelt im Lager I aufzustellen und sich einfach nicht mehr zu bewegen. Am nächsten Tag stand dann „nur“ noch der Abstieg nach Senaru (800m) durch den Jungle auf dem Plan. Jeder Schritt stach in den Muskeln, doch auf längere Pausen haben wir freiwillig verzichtet, als uns Kihan darauf hinwies, dass es, sobald der Regen um die Mittagszeit einsetzt, im Wald vor Blutegeln wimmeln würde. So waren wir nach vier Stunden in Senaru und haben dort noch ein Zimmer für eine Nacht genommen. Es war für uns ein großartiges Erlebnis, diesen Vulkan erklommen zu haben, in so kurzer Zeit von der tropischen Hitze an der Küste bis in die alpine Kälte aufzusteigen. Wir waren von der Tour überwältigt und, wie sich am nächsten Morgen herausstellte, vollständig unbeweglich, da sich der Muskelkater mittlerweile auf die restlichen Körperteile ausgebreitet hatte. (Das ist wirklich eine einmalige Erfahrung, die jeder unbedingt einmal machen sollte!) Schließlich sind wir mit dem Ojek, dem Motoroller-Charter-Taxi nach Sembalun zurückgerast, haben unsere Räder bepackt, die wir vier Tage lang gegen die Wanderschuhe getauscht hatten, und sind weiter geradelt.